Neue Theorie zur Entstehung von Zwerggalaxien klärt offene Fragen
Astronomen der Universität Zürich postulieren eine neue Theorie zur Entstehung von Zwerggalaxien. In einer Veröffentlichung im «Astrophysical Journal» lösen Elena DOnghia und George Lake mehrere bisher offene Probleme durch Vergleich von beobachteten Zwerggalaxien mit Supercomputersimulationen ihrer Entstehung (Astrophysical Journal Letters, Volume 686, Nr. 2, p. L61).
Entstehung und Eigenschaften von Zwerggalaxien zu erklären,
verursachte bisher grosse Schwierigkeiten. «Vor zehn Jahren hat
mein Team an der Universität in Washington herausgefunden, dass
unsere kosmologischen Modelle 30 bis 50 mal mehr kleine Objekte
vorhersagen, als wir beobachten. Wären die Zahlen ungefähr gleich
gewesen, wäre dem Modell ein schneller Erfolg sicher gewesen. Gäbe
es keine Zwerggalaxien, hätten wir vielleicht einen Weg gefunden,
ihre Entstehung in der Simulation zu unterbinden», sagt der
führende Autor George Lake und folgert: «So aber standen wir vor
der Frage: Wie schaffen wir es, die meisten der Zwerggalaxien an
ihrer Entstehung zu hindern, aber nicht alle?»
Die gängigste Theorie, um die Entstehung vieler leuchtender
Zwerggalaxien zu verhindern, ist, dass gewisse Ereignisse im frühen
Universum das Gas entfernten, aus dem sich Sterne hätten formen
können. Das erste dieser Ereignisse ist die globale Erhitzung und
Reionisation des Universums, die sich während einer Milliarde
Jahren nach dem Urknall ereignet haben. Gemäss dieser Theorie
entgeht der kleine Anteil der Zwerggalaxien, der sich schnell genug
gebildet hatte, der Zerstörung. «Obwohl dies eine interessante Idee
ist, liefert sie keine Erklärung dafür, dass die meisten Zwerge
Sterne haben, welche viel später entstanden sind», sagt Lake.
Der neue Ansatz: Es beginnt mit der Gruppierung
Fragen aufgeworfen hat bisher auch die Formation von
Zwerggalaxien: Zwerggalaxien sind nämlich seltsam gruppiert. «Sie
sind kontaktfreudig und ordnen sich in Gruppen an sowohl
innerhalb unserer Galaxie wie auch in nahe gelegenen Formationen»,
fährt Co-Autorin Elena DOnghia fort. «Man könnte fast meinen, sie
würden Schneewittchen kennen, da sieben unserer Zwerge mit den
Magellanschen Wolken verbunden sind den grössten Ablegern der
Milchstrasse, die gut sichtbar sind, wenn man das Glück hat, den
Himmel aus der südliche Hemisphäre beobachten zu können.»
Dass sich Galaxien im Universum hierarchisch formen, weil
viele ihrer Bestandteile in Gruppen von kleineren Objekten
eintreffen, haben Forscher bereits früher bemerkt. «Der
entscheidende Faktor ist jedoch nicht, dass diese Zwerggruppen
Gruppen sind, sondern dass sie einen Zwergenführer oder
Elternteil haben. Wenn durch ein Ereignis im frühen Universum Gas
aus den kleinsten Objekten heraus geschleudert wird, führt der
Zwergenführer dieses Gas mit und ermöglicht so den kleinen
Kameraden, es zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen» sagt
DOnghia.
Lake und DOnghia haben all diese Teile des Puzzles
zusammengefügt und stellen die Theorie auf, dass die Magellanschen
Wolken die grössten Mitglieder einer Gruppe von Zwerggalaxien sind,
welche vor nicht allzu langer Zeit in den dunkeln
Milchstrassen-Halo eintraten. Sieben der elf hellsten
Satellitengalaxien unserer Milchstrasse waren Teil dieser Gruppe.
Neue Simulationen, die an der Universität Zürich durchgeführt
wurden, zeigen, dass es für Zwerggalaxien typisch ist, sich in
Gruppen zu formieren und zu einem späten Zeitpunkt in grosse
Galaxien einzutreten. Gezeitenkräfte spalten diese Gruppen und
verteilen die leuchtenden Zwerge auf der Milchstrasse. Auf diese
Weise entstehen die Satellitengalaxien, welche wir heute
beobachten.
Diese neuen Forschungsergebnisse von Lake und DOnghia
korrespondieren auch mit Messungen, welche erst neulich von
Forschern der Harvard Universität, unter ihnen Nitya Kallivayalil
und Gurtina Besla, durchgeführt wurden. Diese weisen darauf hin,
dass sich die Magellanschen Wolken schneller bewegen als bisher
angenommen und dass sie vielleicht erst kürzlich in die
Milchstrasse eingetreten sind. «Das von DOngia und Lake
vorgeschlagene Szenarium passt gut zu diesen Beobachtungen und
könnte viele Eigenschaften des Satellitenbestandes der Milchstrasse
erklären», erklärt Lars Hernquist von der Harvard Universität.
Die Theorie von Lake und DOnghia löst verschiedene Probleme
im Zusammenhang mit der Entstehung von Galaxien und macht klare
Voraussagen, welche in Kürze getestet werden. Eine dieser
Voraussagen ist, dass bei isolierten Zwerg- und Satelliten-Galaxien
Begleiter gefunden werden. Tatsächlich wurde seit dem erstmaligen
Kursieren ihrer Theorie im Juli entdeckt, dass die Zwerggalaxie Leo
IV einen kleinen Begleiter Leo V hat. Auch die Existenz nahe
gelegener Zwergengemeinschaften unterstützt diese Theorie.
Spitzenforschung am Physik-Insitut der Universität Zürich
Die Astronomen Lake und DOnghia sind beide am Institut für
Theoretische Physik der Universität Zürich tätig. Dieses Institut
ist bekannt für seine Pionierarbeit in der Relativitätstheorie und
in der Kosmologie. Erst kürzlich hatte es führende Vorhersagen zu
Verteilung und Eigenschaften der Dunkeln Materie im Universum
gemacht.
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Begriffe
Zwerggalaxie:Extragalaktisches Sternensystem, welches
in der Morphologie den normalen Galaxien ähnlich ist, aber eine
geringere absolute Helligkeit hat.
Magellansche Wolken:
Zwei irreguläre Zwerggalaxien in nächster Nähe der
Milchstrasse; Teil der Lokalen Gruppe; benannt nach Ferdinand
Magellan, dem ersten Europäer, der die beiden Wolken anlässlich
seiner Weltumseglung 1519 beschrieb.null